Wie viel Technik brauchen Kuh und Bauer?

Eigentlich wollte ich nur kurz berichten, was mir beim Anblick unserer kranken Kuh Susie durch den Kopf ging.

Hätte ich es mal getan. Denn je länger ich darüber nachdenke, komme ich an der Frage nicht vorbei, in welche Richtung sich Landwirtschaft und speziell unsere Tierhaltung entwickeln wird. Seit meiner Jugend darf ich mit Kühen arbeiten. Vierzig Jahre, in denen Technisierung und nun auch Digitalisierung immer weiter Fahrt aufgenommen haben. Zunächst stand die Automatisierung der Fütterung im Vordergrund. Dann kamen Tieridentifikation und Brunsterkennung dazu. Heute denkt man über Investitionen in die Messung des Gesundheitsstatus nach. Immer mehr Betriebe nutzen automatische Melksysteme.

Erkennen, aufzeichnen, analysieren, alarmieren, kontrollieren – und auch reagieren. All das kann im Kuhstall (und in Teilbereichen auch auf der Weide) immer öfter von der Technik übernommen werden. Zuverlässiger (wenn Stromversorgung, Internet, Technik mitspielen und die Systeme passgenau auf Betrieb und Situation abgestimmt sind) und objektiver als wir Menschen es können.

Susie läuft in der Herde vorne. Immer, jeden Tag. Nur vorgestern nicht. Also wird sie um fünf aussortiert, um sechs wird sie bereits von der Tierärztin untersucht und behandelt. Uns fallen die Susies in unserer Herde auf. Meistens. Aber das natürlich nur, wenn wir auch gerade bei den Tieren sind und einen Blick drauf haben. Und das ist halt nur ein Teil der Tages.

Moderne Sensorsysteme (Körpertemperatur, Wiederkautätigkeit, Bewegungsmessung) hätten uns wahrscheinlich schon einige Stunden früher Hinweise oder Alarm darüber gegeben, dass mit Susie etwas nicht in Ordnung ist. Die Tierärztin hätte sie dann acht Stunden früher untersuchen können. Im besten Fall wäre sie so schneller wieder fit gewesen und wir hätten vielleicht sogar eine geringere Menge Medikamente einsetzen müssen. Auch der Verlust an Milch wäre am Ende niedriger gewesen.

Wird der weitere Einzug von Technik und Digitalisierung sein Versprechen halten, dass  durch sie deutlich mehr Tierwohl in unseren Ställen herrschen wird, wir Bauern weniger Arbeitsstunden leisten müssen und unsere Einkommen auf den Höfen steigen werden? Um ehrlich zu sein – ich glaube nicht. Jedenfalls nicht in dem Maß, in dem es uns (und der Gesellschaft) versprochen wird.

Das Hamsterrad hat sich bis heute immer weiter gedreht. Mit dem Einzug neuer Technik sind in der Vergangenheit auch immer mehr Kühe in die Ställe gezogen. Neue Technik hilft bei ihrer Versorgung. Am Ende bleibt aber auch die Verantwortung für jedes einzelne (zusätzliche) Tier. Es reicht dann nicht das automatische Erkennen einer lahmen Kuh, sondern es braucht nach wie vor die „Fachkraft“, die diese (zusätzliche) Kuh umgehend in den Klauenstand bringt und dort behandelt. Es wäre sehr spannend, objektiv zu untersuchen, ob sich der Gesundheitsstatus und die Tierwohlsituation in Herden „mit“ und „ohne“ Technik unterscheiden!

Unbeantwortet bleibt auch die Frage, ob die Mehrzahl der Betriebe unter den wirtschaftlichen Bedingungen in der Milchviehhaltung überhaupt in der Lage ist, umfangreich in neue Technik zu investieren. Jeder Betrieb muss also für sich entscheiden, wo sein individueller Bedarf und seine Möglichkeiten liegen.

Auf unserem Betrieb haben wir unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Wir sind nach wie vor  von unserer „Transponderfütterung“ überzeugt, durch die jede Kuh individuell ihr Kraftfutter zugeteilt bekommt. Andererseits haben wir uns in der Kälberaufzucht von dieser Technik getrennt. Statt Milchpulver am Automaten bekommen unsere Kälber seit einigen Jahren wieder unsere eigene Vollmilch an der Milchbar. Die Kälber sind gesünder und das Verfahren ist kostengünstiger. Unsere Kühe verbringen nicht mehr die Sommernächte im Stall, sondern weiden Tag und Nacht auf unseren Flächen.

Wir haben noch nicht entschieden, ob wir unser veraltetes Brunsterkennungssystem erneuern wollen. Attraktiv wäre dabei die neue Option der Messung der Wiederkautätigkeit der Kuh – und damit frühzeitige Erkennung von Problemen.  Die  Kosten dafür haben uns bisher davon abgehalten. Bei 28 Cent/Liter Milch macht man keine großen Sprünge…

 

 

Autor: Kirsten Wosnitza

Milchbäuerin

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