Kühe mit Kälbern

In Deutschland gibt es etwa 80 Betriebe, die mutter- oder ammengebundene Kälberaufzucht umsetzen. Der Milchviehbetrieb Hof Hellmig ist einer von ihnen und berichtet hier worauf es dabei ankommt.

Muttergebundene Kälberaufzucht – Was es ist und wie wir es umsetzen.

Von André Hellmig und Astrid Hellmig-Zeßner

Es gibt in Deutschland, so weit ich weiß, ungefähr achtzig Betriebe, die ihre Kälber muttergebunden oder ammengebunden aufziehen. Das bedeutet, dass ihre Kälber nicht mit dem Nuckeleimer gefüttert werden, sondern die Möglichkeit bekommen, bei der Mutter oder einer Amme zu saufen. Und es gibt vermutlich so viele Varianten, wie dies umgesetzt wird, wie es Betriebe gibt, die es machen.

Von gemeinsamen begrenzten Zeiten vor oder nach dem Melken, über ein Rotationsverfahren in dem jede Kuh in den ersten Wochen Mutter und Amme ist und dann getrennt wird, während das Kalb sich eine Amme unter den frischgebackene Müttern sucht, bis hin zu 24 Stunden zusammen im Herdenverband leben, bis die Kälber abgesetzt werden. Jede Variante hat ihre Vor- und Nachteile.

Von den achtzig Betrieben sind wir vermutlich einer der sehr wenigen, die diese Aufzucht allen Kälbern ermöglicht und nicht nur den ausgewählten weiblichen Kuhkälbern, die für die Remontierung gebraucht werden. Und bei uns gibt es Ammen nur für Waisenkinder oder wenn eine Kuh ihr Kalb par tout nicht annehmen will. Irgendeine Kuh stellt sich für diesen Job dann freiwillig zur Verfügung und lässt neben ihrem eigenen Kalb ein weiteres mittrinken. Ansonsten darf bei uns jede Kuh – und das sind um die 75 – mindestens drei Monate für ihr eigenes Kind sorgen.

Ich sage bei Hofführungen immer: Die größten Schwierigkeiten, die es zu meistern gibt, sind das Melken und das Absetzen. Wenn man da ein System gefunden hat, dass zu den betrieblichen Voraussetzungen, den Menschen, die damit täglich zu tun haben und zu den Tieren passt, dann ist es nicht mehr Arbeit als täglich zwei mal alle Kälber mit dem Nuckeleimer zu füttern. Dabei muss man aber immer berücksichtigen, dass mit dieser Aufzucht ein Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit, Arbeitsaufwand, Tiergesundheit und Tierwohl geschafft werden muss, der nicht ganz einfach ist.

Am Anfang haben wir auch mit der zeitlich begrenzten gemeinsamen Zeit nach dem Melken begonnen, aber es war für uns ein Desaster. Die Kühe hatten wunde Zitzen, weil die Kälber auf Teufel komm raus, den letzten Tropfen heraus holen wollten, das Melken war Quälerei, weil die Kühe, die Milch für ihre Kälber zurückgehalten haben. Die Folge war Stress, Euterentzündungen und Kälber, die krank geworden sind. Nicht so der Sinn der Sache.

Die Kälber komplett dabei zu lassen, kam für uns aber auch nicht in Frage. Zum einen aus wirtschaftlichen Gründen: wir leben nun mal vom Verkauf der Milch, das ist bei uns kein Nebenerwerb oder Hobby (wir bekommen dafür auf Grund der wahnsinnigen Nachfrage (…) im Moment trotz Bio nicht mal den Biopreis …). Zum anderen ist das Absetzen dann wirklich ziemlich heftig.

Also hab ich mich irgendwann an die kleine Farm meiner Großeltern zurück erinnert, die auch ein paar Milchkühe hatte, die sogar noch per Hand gemolken wurden. Da bin ich abends los mit Pferd und hab die Kühe mit ihren Kälbern von der Weide geholt. Dann wurden die Kälber in den Stall gesperrt und die Kühe durften zurück auf die Weide. Mein absoluter Lieblingsjob in meiner Jugend! Am nächsten morgen wurden sie dann gemolken und mit den Kälbern zusammen wieder auf die Weide gelassen.

Und ich habe mich gefragt – zu einem Zeitpunkt an dem wir drauf und dran waren, diese Aufzucht wieder dran zu geben – Warum sollte das bei uns nicht funktionieren? Die Abmachung war klar: wenn das auch nicht funktioniert, dann war’s das mit meinem Projekt der Muttergebundenen Aufzucht…

Wir haben es ausprobiert und es hat von Anfang an funktioniert! Die Kühe sind seitdem entspannt, geben morgens gut ihre Milch her, weil sie wissen, dass ihr Kalb den ganzen Tag Zeit hat satt zu werden. Sie haben Stunden für das Ausleben ihrer Kuscheleinheiten und abends sind die Kälber zufrieden in ihrem Kinderzimmer und die Mütter genießen den Feierabend.
Am Anfang haben wir bereits nach wenigen Tagen nach der Geburt damit begonnen, die Kälber nachts zu trennen, aber mittlerweile sind es gute drei Wochen, die sie erst noch Tag und Nacht zusammen sind, bis wir damit anfangen. Weil es der Zeitpunkt ist, wo sie von sich aus den Kontakt zu den Gleichaltrigen suchen, oft schon selber mal im Kinderzimmer liegen, das für die Kälber auch tagsüber immer zu betreten ist, und sich mehr und mehr von der Mutter lösen. Wenn sie jünger sind, ist es für sie schwer mit den Älteren klar zu kommen und der Schutz der Mutter für sie noch extrem wichtig. Sie wurden krank oder nahmen ab, waren gestresst und verunsichert. Mit drei Wochen sind sie keine absoluten Babys mehr, sie wirken stabil und eigenständig und sind es auch. Auch die Mutter ist nicht mehr in heller Aufregung, wenn ihr Kalb nicht in ihrer unmittelbaren Nähe ist. Trotzdem ruft die ein oder andere Kuh in der ersten Nacht, wenn ihr Euter voll ist und meistens lassen wir dann das Kalb nochmal dabei, damit wir schlafen können… Schon in der zweiten Nacht ist dann in der Regel Ruhe. Der erste wichtige Schritt Richtung Absetzen ist geschafft!

Tagsüber ist es eine Freude, die Kühe mit ihren Kälbern zu erleben! Morgens macht das Melken richtig Spaß, denn die Kühe produzieren in dieser Phase überdurchschnittlich gut Milch. Nachmittags ist der Gang durch den Melkstand dann eigentlich nur eine Kontrolle, damit keine Kuh mit halbvollem Euter in die Nacht geht.

Im Alter von zehn bis zwölf Wochen beginnt dann die Absetzphase bei uns. Die mittlerweile schon recht brockigen Kälber ziehen mit ihren Müttern in einen anderen Stall um, wo wir dann die gemeinsame Zeit schrittweise verkürzen, bis sie nach ca zwei Wochen nur noch für eine halbe Stunde Morgens nach dem Melken zu ihrer Mutter dürfen. Diese halbe Stunde halten wir dann aber noch relativ lange bei. Sie ist Kuh und Kalb heilig. Die Kuh bleibt in ihrer Milchleistung stabil und ruft den restlichen Tag nicht nach ihrem Kalb. Die Kälber werden nun nicht mehr von der Milch satt und lernen so ihren Nahrungsbedarf über das Rauhfutter zu decken.

Wenn wir sie dann entgültig absetzen, bleibt in der Regel (Wenn der Stall nicht gerade aufgrund der noch nicht abgeholten Ernte belegt ist…) durch eine Trennwand noch für einige Zeit der Sicht – und Berührungskontakt bestehen, nur saufen ist dann nicht mehr.

Manche Kühe finden das trotzdem doof und rufen noch ein zwei Tage morgens in der halben Stunde nach ihrem Kalb und auch die Kälber verzichten teilweise nur unter Protest auf die letzten Tropfen Milch, aber es dauert nie lange und es sind immer nur einzelne. Die meisten nehmen es mit Gelassenheit. Sie sind ja nun schon „groß“ und die Kühe finden sich auch recht schnell damit ab. Das nächste Kalb steht ja quasi schon in den Startlöchern, denn mit dem Umzug in die Hauptherde, darf dann Natus wieder seiner Arbeit nachgehen und für neuen Nachwuchs sorgen.

Das Trennen der Kälber für die Nacht ist kein großes Problem. Die jüngeren laufen mit den Älteren mit, die den Weg schon kennen und oft liegen sie sogar zu diesem Zeitpunkt schon friedlich in ihrem Kinderzimmer. Es gibt natürlich auch hin und wieder Tage, wo sie einen Clown gefressen haben und uns mit dem größten Vergnügen austricksen und beim Trennen auf Trab halten, aber es passiert nicht oft und auch wenn man dann genervt ist, kann man sich eigentlich nur über sie amüsieren. Sind halt Kinder! Ins Bett gehen ist manchmal doof

Uns macht es unendlich viel Freude unsere Kühe in ihrem Mutterstolz und ihrer Hingabe zu beobachten und unsere Kälber sind für uns tatsächlich wie Kinder, so vermenschlicht das auch klingen mag. Jedes hat sein ganz eigenes Wesen, jedes eine eigene Persönlichkeit! Sie in ihrem selbstverständlichen Selbstvertrauen heranwachsen zu sehen, ist für uns einfach nicht mehr wegzudenken!

Leider haben wir noch immer keine eigenständige Vermarktung für unsere Milch. Wir arbeiten aber weiter an einer möglichen Umsetzung. Im Moment kann man unsere Milch nur direkt ab Hof als Rohmilch kaufen.

Wer uns trotzdem unterstützen mag, kann dies am Besten dadurch tun, dass er unser Rindfleisch kauft, dass wir in Direktvermarktung ab Hof anbieten. Da wir wie erwähnt alle Kälber aufziehen, bleibt es nicht aus, denn die Hälfte davon ist männlich.
Weitere Infos stehen in folgendem Post:

https://m.facebook.com/story.php?story_fbid=2374277232816330&id=1798073193770073

Es gibt auch immer die Möglichkeit kleinere Mengen tiefgefroren zu den entsprechenden Einzelpreisen ab Hof zu kaufen. Da wir keinen Hofladen haben, einfach schreiben oder anrufen und einen Termin verabreden. Dabei kann man sich gerne auch den Hof anschauen und sich vom geschriebenen Wort überzeugen!

Hier noch ein link zu den wissenschaftlichen Untersuchungen des Thünen Institutes zum Thema.

Autor: Kirsten Wosnitza

Milchbäuerin

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert