Zwischen Frust und Verantwortung

Warum sich Bauernproteste klar von rechts außen abgrenzen sollten

Ich bin Milchviehhalterin in Schleswig-Holstein. Und ich bin tief betroffen – von der ARD-Sendung „Klar – Der Frust der Bauern“. Sowohl inhaltlich als auch in der Art der Darstellung. Auch wenn ich mich in einigen Teilen der Reportage wiederfinde, stellt sich mir wieder einmal die Frage: Was ist in den letzten Jahren mit der öffentlichen Wahrnehmung des Berufsstandes, mit unserer Selbstwahrnehmung als Bauern und Bäuerinnen – und mit unserer politischen Kultur passiert?

Ich habe vor etwa 15 Jahren mit vielen anderen Milchbäuerinnen und Milchbauern demonstriert. In Berlin, in Brüssel. Damals war ich überzeugt, dass wir uns mit guten Gründen Gehör verschaffen mussten. Auch heute denke ich: Ja, es war richtig, auf die Straße zu gehen – auch wenn wir vielleicht in mancher Form zu weit gegangen sind. Aber wir hatten Ziele, wir hatten konkrete Inhalte und Vorschläge, wir wollten mitgestalten. Und wir haben Verantwortung übernommen: für unsere Höfe und Familien, für unsere Branche, für die Gesellschaft.

Heute erfüllt mich große Sorge . Ich sehe eine Entwicklung, in der sich viele Landwirte politisch und gesellschaftlich immer weiter an den Rand gedrängt fühlen und sich gleichzeitig auch selbst an diesen Rand stellen. Das ist auf den ersten Blick verständlich – angesichts struktureller Probleme, Marktverwerfungen, politischer Unentschlossenheit. Aber ich sehe auch, dass sich einige Berufskolleginnen und -kollegen heute in eine Rolle begeben, in der sie nicht mehr Akteure, sondern Objekte fremder Interessen sind. Sie lassen sich vereinnahmen von sachfremden Interessen, die nicht an der Sache, sondern an der Destabilisierung gesellschaftlicher, demokratischer Aushandlungsprozesse interessiert sind. Und das ist gefährlich.

Denn: Es gibt kein Recht darauf, Bauer oder Bäuerin zu sein. Aber es gibt ein Recht, sich für seine Interessen einzusetzen– auf der Straße, in der Politik, in der Gesellschaft. Dieses Recht ist kostbar. Aber es ist keine Blankovollmacht. Wer sich politisch einsetzt, trägt Verantwortung – auch für Ton und Haltung.

Ich sehe mit Sorge, wie sich Teile der bäuerlichen Protestbewegung in eine Rhetorik begeben, die immer radikaler, zum Teil offen demokratiefeindlich wird. Und die sich immer wieder für rechte Einflussnahme öffnet. Viele merken gar nicht, dass sie benutzt werden, einige nehmen dieses Risiko sogar billigend in Kauf.

Wir haben auch als Bauern in der Geschichte bereits erlebt, wie gefährlich das sein kann: Die Landvolkbewegung, die in Zeiten großer wirtschaftlicher Not 1928 in Schleswig-Holstein entstand, war ein bäuerlicher Aufschrei – aber sie wurde schnell von nationalsozialistischen Kräften unterwandert. Die Bauern fühlten sich von den neuen Kräften wertgeschätzt – aber am Ende wurden sie instrumentalisiert und verloren ihren politischen Einfluss (vgl. Wolff, „Landvolkbewegung und Nationalsozialismus“, 2000).

Ich frage mich: Erleben wir gerade eine neue Version dieses Musters?

Während der Deutsche Bauernverband weiterhin an politischen Tischen vertreten bleibt, agieren viele LSV-Akteure oft außerhalb institutioneller Prozesse. Sie machen Druck – aber sie verlieren Anschlussfähigkeit. Sie erzeugen Bilder, vielleicht auch Wut – aber oft nicht die von ihnen gewünschten Lösungen. Und paradoxerweise stärkt genau dieses Verhalten oft die Verhandlungsposition des Bauernverbandes: Er kann sich als moderater Gesprächspartner präsentieren – und mit Verweis auf „die Straße“ seine eigenen Ziele verhandeln, ohne selbst als radikal zu gelten.

Zur ARD-Reportage „Klar“: Ich habe in der Zeit der Milchbauernproteste Thomas Schneekloth kennengelernt, über den auch in der Sendung berichtet wurde. Er erklärt dort, warum er die AfD gewählt hat. Ich erkenne Teile seiner Beweggründe. Ich kann auch die Wut und die Enttäuschung vieler nachvollziehen. Aber ich ziehe andere Schlüsse.

Was mich besonders irritiert und verärgert: Die ARD-Sendung unterzieht seine Entscheidung keiner kritischen Betrachtung. Es entsteht der fatale Eindruck, die AfD sei eine legitime Antwort auf agrarpolitische Missstände.

Damals haben wir als Milchviehhalter konkrete Vorschläge gemacht – Modelle zur Anpassung der Milchproduktion an die Nachfrage, zur Steuerung des Marktes, zur Sicherung unserer Höfe. Wir wollten nicht Opfer sein, sondern aktiv Verantwortung übernehmen. Wir hatten Ideen. Und wir wussten, dass diese Ideen auch unbequem waren – vor allem für die Agrar- und Ernährungsindustrie, die sich gegen die Bündelung der Interessen der Milcherzeuger stellte. Unsere Vorschläge fanden zwar in der Öffentlichkeit Gehör, nicht aber bei den politischen Entscheidungsträgern. Nicht, weil sie schlecht waren, sondern weil sie mächtigen Interessen widersprachen.

Heute scheint es einfacher, sich in die Opferrolle zu begeben. Zu sagen: Die Politik ist schuld, die Regeln sind schuld, die Gesellschaft versteht uns nicht. Und am Ende: Vielleicht hilft uns die AfD? Aber genau das ist eine gefährliche Sackgasse. Weder kurz- noch langfristig wird sie auch nur einen Hof retten. Und sie wird der Landwirtschaft auch keinen Platz in der Mitte der Gesellschaft sichern.

Ich bereue es nicht, damals mit Thomas Schneekloth nach Brüssel gefahren zu sein. Aber ich kann nicht verstehen, wie man heute ernsthaft glauben kann, die AfD sei eine Lösung. Eine Partei, die menschenverachtend, populistisch, fremdenfeindlich und wirtschaftlich rücksichtslos argumentiert – und den Bauern das Blaue vom Himmel verspricht. Dass die ARD mit dieser Sendung diesen Positionen auch noch Anschlussfähigkeit verschafft, macht mich fassungslos. Das war keine differenzierte Analyse, sondern eine gefährliche Vereinfachung. Journalistische Verantwortung sieht anders aus.

Deshalb schreibe ich diesen Text. Ich will keine Spaltung. Ich will, dass wir diskutieren – ehrlich, streitbar, lösungsorientiert. Und ich will , dass wir uns auch als Landwirte unserer Verantwortung bewusst bleiben – für unsere Höfe und für unsere demokratische Gesellschaft. Und dass wir nicht dieselben Fehler zweimal machen.

Denn: Wir haben die Wahl. Zwischen lautem rückwärtsgewandtem Frust – und mutiger Verantwortung mit Fokus auf die Zukunft.

ARD Mediathek „Klar“ Der Frust der Bauern

Autor: Kirsten Wosnitza

Milchbäuerin

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