Ist Landwirtschaft „gesünder“ geworden?

Die Arbeit in der Landwirtschaft war schon immer hart.

Früher war es normal, dass viele Bauern und Bäuerinnen schon früh körperlich „aufgeschlissen“ waren – wie andere Menschen auch, die ihr Leben lang körperlich hart arbeiten mussten. Neben Rücken- und Schulterbeschwerden nehmen heute die Behandlungen von Burn out und Depressionen auch bei Landwirten zu.

Maschinen und Technik haben vieles einfacher und unser Arbeitsleben gesünder gemacht. Kaum jemand möchte auf Frontlader, Radlader, moderne Melkanlagen und all die vielen anderen Arbeitserleichterung verzichten!

Höhere Leistungen und gesteigerte Produktivität durch Spezialisierung und betriebliches Wachstum sind oft Voraussetzungen, um die Investitionen in die neue Technik überhaupt bezahlen zu können.

Statt 30 Kühen an der Rohrmelkanlage wurden hier im Norden in den 80zigern nun 60 Kühe im modernen Laufstall gehalten und im Melkstand gemolken. Dies war für viele Milchbauern eine gute Zeit – in den 80zigern wurde mit Melken Geld verdient, die Arbeit durch die neue Technik bedeutend leichter, die Kühe konnten den Anbindestall verlassen und das ganze Jahr über Bewegung haben.

Aus heutiger Sicht: so hätte es meinetwegen bleiben können!

Die Entwicklung ging stattdessen zügig weiter. Immer mehr Milch kam auf den Markt, denn die verbleibenden Bauern wurden immer produktiver. Die landwirtschaftlichen Märkte wurden immer weiter liberalisiert, die Preise für die Erzeuger stagnierten oder sanken.

Wenn die Marge für den einzelnen Liter Milch sinkt, dann muss mehr davon erzeugt werden, um das Einkommen für die Familie halten zu können.

So war es schnell vorbei mit den gemütlichen 60 Kühen. Heute melken wir 120 Kühe in unserem Melkstand. Und liegen damit nur noch knapp im Durchschnitt Schleswig-Holsteins.

Die Technik hat sich verbessert, aber jeden Tag 240 Melkgeschirre an die Kühe zu setzen – das bleibt bei vielen von uns nicht ohne Folgen. Es überrascht mich nicht, dass auch ich jetzt „Schulter“ hatte, was heute gottseidank mit modernen medizinischen Methoden gut zu reparieren ist. Und ich frage mich, wie es wohl meinen Berufskollegen geht, die täglich doppelt so viele Kühe melken wie ich?!

Wie reagieren Milchbauern auf den stetigen wirtschaftlichen Druck? Die einen verdoppeln oder verdreifachen ihre Kuhzahl. In der Hoffnung, geeignete Mitarbeiter finden zu können, die diese sehr spezialisierte Arbeit übernehmen wollen. Oft kommen diese Mitarbeiter aus Osteuropa. Der Job scheint nicht sonderlich attraktiv zu sein. Problematisch wird es dann, wenn Mitarbeiter ausfallen, keine neuen gefunden werden und die ganze Arbeit….

Andere entscheiden sich für den Ausstieg, sehen in der Entwicklung für sich und ihre Kinder keine Zukunft. Dies ist oft eine Frage der beruflichen Alternativen.

Eine Lösung für das Problem der Arbeitsfalle scheint für immer mehr Betriebe der Einsatz automatisierter Melksysteme zu sein. Melkroboter für kleinere Betriebe und automatisiertes Ansetzen der Melkgeschirre in großen Melkkarussellen.

Wie hoch der Investitionsbedarf heute für diese Technik und dem Umbau des Stall Systems ist, kann ich nicht genau sagen. In den Auswertungen liegen die Kosten des Melkens je Liter Milch am Roboter oft höher als im Melkstand. Aber diese Technik minimiert auf jeden Fall das Risiko von „Schulter“ und lässt den Tierhaltern mehr Zeit für die Betreuung ihrer Tiere. Viele reden auch von höherer Lebensqualität. Intensive Weidehaltung ist mit diesen Systemen schwieriger, da die Kühe mehrmals am Tag selbstständig die Melkanalage aufsuchen sollen.

Ich bin gespannt, wohin die Entwicklung geht. Denn heute sehe ich leider auch immer öfter Kollegen, die nicht körperlich, sondern psychisch „auf“ sind. Die Sorge um die Bewältigung des Kapitaldienstes und das Arbeitspensum bringt Familien an ihre Leistungsgrenzen. Tiere übrigens auch, wenn immer höhere Leistungen erbracht werden sollen, damit sich „das ganze noch rechnet“.

Wenn ich mir eine Idealgrüße wünschen würde, dann wären 70 Kühe für eine Familie solch eine Größe. Das wäre Lebensqualität bei überschaubarem Investitionsbedarf. Die Kosten einer solchen Milchviehhaltung werden momentan aber nicht annähernd von den Milchpreisen gedeckt.

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Autor: Kirsten Wosnitza

Milchbäuerin

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