Kälberaufzucht – worüber wir reden sollten

In der Regel wird das Kalb nicht mit der Kuh aufgezogen. Warum ist das so?

Die Antwort ist einfach – wirtschaftliche Aspekte haben schon immer dazu geführt, in der Milchviehhaltung das Kalb so früh wie möglich von der Kuh zu trennen. Zum einen würde das Kalb deutlich mehr Milch an der Kuh aufnehmen, als es dosiert gefüttert bekommen kann. Zum anderen verursacht das Trennen der Kälber von der Kuh zum Melken zusätzliche Arbeit (skosten) und benötigt einiges mehr an Stallplatz.

Seit Jahren ist der Preis, den wir Milchviehhalter für unser Milch bekommen, immer wieder so niedrig, dass die Erzeugungskosten nur knapp oder gar nicht gedeckt werden können. In den letzten Jahren haben schwere Krisen am Milchmarkt dazu geführt, dass immer mehr Betriebe aufgeben mussten. Die deutsche und die europäische Agrarpolitik sendet keine Signale, dass diese Situation verbessern will. Im Gegenteil, sie will Freihandelsabkommen eingehen, welche die Tierhalter noch weiter unter Druck setzen.

Momentan erhalten wir 30 Cent netto für 1 Liter unserer Milch. Nachhaltiges Wirtschaften ist damit nicht möglich.

Viele Betriebe laufen nur, weil Mensch und Tier (und Natur) bis an ihre Grenzen – oder auch darüber hinaus – gehen. Auf unserem Hof halten wir 120 Kühe. Mit einer muttergebundenen Aufzucht würden wir diese Zahl halbieren müssen. Das würde bedeuten, dass sich der ohnehin viel zu niedrige Milchpreis mindestens verdoppeln müsste.

Bisher gibt es nur sehr wenige Betriebe, die sich für muttergebundene Aufzucht entschieden haben. Oft werden auch ältere Kühe als Ammen eingesetzt. Das ist für das Kalb eine sehr gute Sache. Die Kuh selbst wird aber auch in dieser Haltungsform von ihrem Kalb getrennt, damit der Milchverlust nicht so groß und der zusätzliche Arbeitszeitbedarf nicht so hoch ist. Natürlich entstehen dabei dann auch zusätzlich Kosten für die Haltung der Ammenkühe.

Wie schaffen es Betriebe mit muttergebundener Aufzucht wirtschaftlich? Sehr häufig handelt es sich um ökologisch wirtschaftende Betriebe, die sich eine Wirtschaftlichkeit über den höheren Bio Milchpreis errechnen. Oft haben sie sich auch noch individuelle Wege der Selbstvermarktung ihrer Milchprodukte geschaffen. Auch das ist mit sehr hohem zusätzlichen Arbeitseinsatz verbunden und die Absatzchancen sind oft sehr „übersichtlich“, da ein deutlich höherer Preis erzielt werden muss. Betriebe, die diese Wege gegangen sind, verdienen großen Respekt, da sie in der Regel hohes Risiko und hohen Arbeitsaufwand auf sich genommen haben. Die Milch von Kollegen in Schleswig-Holstein steht daher mit knapp 2 Euro im Regal.

Kurzum – in dem wirtschaftlichen System, in dem wir heute Landwirtschaft betreiben, ist es für die Mehrzahl der Milchviehhalter finanziell nicht möglich, ihre Art der Kälberaufzucht zu verändern. Auch wenn sie es wollten. Wenn sich das ändern soll, dann müssen sich wichtige Voraussetzungen ändern

weg von Immer Mehr und Immer Billiger (nicht nur in der Landwirtschaft!)

und

Mutige Bauern, Verbraucher und Politiker die dieses System in Frage stellen und in Alternativen denken wollen

 

 

 

 

 

Autor: Kirsten Wosnitza

Milchbäuerin

Ein Gedanke zu „Kälberaufzucht – worüber wir reden sollten“

  1. Liebe Kirsten, ich habe mich gefreut, dass du über die muttergebundene Kälberaufzucht schreibst! Das muss die Zukunft der Milchbauern werden. Und genau diese Haltung ist wunderbar zu vermarkten – an stillende Mütter sowieso und alle anderen. Und daran kann man auch sehr gut erklären, warum die Milch zur Zeit zu billig ist.
    Deshalb sollten alle Milchbauern in Gesprächen mit den Medien und bei Protestaktionen nicht mehr einfach nur kostendeckende Preise fordern, sondern ganz klar sagen: Wir wollen die Milchproduktion tiergerechter machen und dafür brauchen wir viel bessere Preise!

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